50.000 einzigartige Künstler-Porträts: Ganz nah dran mit Photograph Gerald Y Plattner

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Gerald Plattner, Du hast als freier Pressephotograph seit 1979 in Deutschland gearbeitet und Deine Aufnahmen sind in den verschiedensten Magazinen erschienen. In einer Welt, in der jeden Tag Millionen Fotos per Iphone und Kameras gemacht werden, welchen Stellenwert haben Bilder für Dich heute im Vergleich zu damals?

Gerald: Für mich hat sich der Stellenwert von Bildern nicht geändert. Es ist nur mühevoller als früher, DIE Bilder unter den Abermillionen Bildchen zu finden, die etwas in mir auslösen.

In den Jahren vor der digitalen ‚Revolution‘ gab es ja auch schon viele Bilder, denn das Photographieren wurde immer billiger, die Vergrößerungen ebenfalls und ‘one hour labs’ haben schon damals Millionen von Bilder erzeugt. Aber diese Bilder blieben in einem kleinen Kreis: wenn man sie nicht anschauen wollte, war es leicht ihnen zu entkommen. Wenn Du zur Photoschau des letzten Urlaub, der Kinder oder der Hochzeit eingeladen wurdest, war halt grad der Termin ‘sehr ungünstig’!

Die Bilder, die mich zum photographieren brachten, waren in nur einigen Magazinen zu finden und deshalb immer zuverlässig.

Antonin Kratochvil

Antonin Kratochvil

Zuverlässig? Was meinst Du damit?

Gerald: Ich wähle das Wort zuverlässig, weil diese Bilder – nachdem sie durch viele Hände gegangen waren, von berufenen Augen gefiltert, abgewägt und ausgesucht wurden – eben die gewisse Qualität und die Fähigkeit besassen, zu berühren, aufzurütteln und zu erzählen! Sie hatten einen Stellenwert.

Gibt es diese Bilder noch heute?

Gerald: Ja, es gibt sie nach wie vor, aber sie sind viel schwerer zu finden. Ihr Stellenwert hat sich aber nicht geändert!

Eines Deiner Projekte, das mich besonders fasziniert, sind Künstler-Porträts: eine einzigartige Sammlung von über 100 namhaften und weniger bekannten Künstlern aus Österreich und dem benachbarten Europa. Über 50.000 fast ausschließlich analoge Photographien und über 400 Stunden einzigartiges Videomaterial.

Gerald: Vor 13 Jahren drehten Ferdinand ‘Marshall’ Karl und ich ein Interview mit Arnulf Rainer auf Teneriffa, wobei die Idee entstand, den Menschen hinter seiner Kunst zu zeigen. Wir wollten sie über sich selbst sprechen lassen, in ihren eigenen Worten über sich erzählen.

Barbara Husar

Barbara Husar

 

Xenia Hausner

Xenia Hausner

Also weniger als Journalist, sondern mehr als Gesprächspartner der Künstler?

Gerald: Genau! Ferdinand ist selbst Künstler. Er war viele Jahre lang Schüler bei Ernst Fuchs und mit diesem Background der ideale Mann als echter Gesprächspartner für unsere ‘Kandidaten’. Schon bei Arnulf Rainer hatten wir die Idee, sie bei der Arbeit aufnehmen, ohne selbst anwesend zu sein, faktisch die Kamera alleine mit den Künstlern zu lassen.

Dies ist gelungen, denn die Aufnahmen sind einzigartig und lassen den Zuseher wirklich erahnen, wie ein Künstler arbeitet. Wenn ich Deine Bilder betrachte, fühle ich mich als Teil des Momentes, des kreativen Aktes. Ich bin dran, dabei, irgendwie eingeladen und spüre förmlich die Verbindung zum Gegenüber. Nicht viele Bilder vermögen dies für mich zu tun – Deine erreichen dies.

Gerald: Ob bei Gesprächen, den Filmaufnahmen und ganz privaten Zusammenkünften, ich habe immer Photos gemacht und nur so konnte diese einzigartige Sammlung entstehen – von über 100 Künstlern aus Österreich und dem benachbarten Europa.

Gunter Damisch

Gunther Damisch

Arnulf Rainer

Arnulf Rainer

Warum denkst Du, ist es oft nicht möglich, Museen oder Galerien zu finden, die bereit sind, Ausstellungen von solcher Bandbreite zu organisieren?

Gerald: Das ist schwer abzuschätzen und zu verstehen. Selbst unsere Idee hat nur selten Anklang gefunden. Es scheint als sei der Mensch hinter der Kunst – seine eigenen Worte, seine Person – für Institutionen einfach nicht von Bedeutung. Wenn es nicht die Kuratoren mit IHREN Worten … zum Teil so kompliziert und mit ausgewähltem ‘Fachwissen’ und Fachausdrücken gespickt … darbringen können, zählt es offenbar nicht. Wir mussten zwar aus finanziellen Gründen dieses Projekt zurückfahren, doch die Sammlung der Künstler-Porträts besteht weiterhin auf http://www.artv.at

Dort wird es sicherlich genauso Menschen begeistern wie mich, denn diese Aufnahmen sind ECHT – und das bringt mich zu einem weiteren Thema: Es scheint als gäbe es heute kaum noch eine Photo-Veröffentlichung ohne vorherige „Verbesserung“ oder Korrektur. Was gibt einem Foto heute aus Deiner Sicht noch den Echtheitsstempel – angesichts der vielen Möglichkeiten, die Photoshop und andere Programme zur Bildbearbeitung bieten?

Gerald: Es gibt ein sehr berühmtes Foto von Henri Cartier-Bresson auf dem ein Mann mit einem Regenschirm in die Luft springt: großartig, scheinbar eine Momentaufnahme, spontan, voll Leichtigkeit und Lebensfreude! Doch das Bild ist eigentlich gestellt, der Mann ist auf Kommando über die Pfütze gesprungen. Henri Cartier-Bresson hatte die Szene gesehen, war aber zu spät mit der Kamera bereit, um die Szene aufzunehmen und bat deshalb den Mann nochmals zu springen. Das Bild ist also eigentlich ‚bearbeitet‘. Aber da Bresson sich der Schönheit der Szene bewusst war und diese dann nachgestellt fotografiert hat, tut dies der Kraft des Bildes keinen Abbruch. Ein gutes, echtes Bild hat diese Kraft immer – das Bild spricht dann zu dem, der zuhören kann und auch will.

Eine Ikone der Photographie ist die Straßenszene mit einem küssenden Paar von Robert Doisneau. Auch dies scheinbar eine Momentaufnahme, alleine Doisneau bat die beiden sich zu küssen! Ist das bearbeitet?

Es gibt Studiophotographien, z.B. von Gerard Rancinan, da ist alles gestellt, nichts spontan, aber für mich sind diese ‚echt’. Sie haben Kraft und Aussage, unvergleichbar!

Im news-Bereich wurden Photos schon immer verändert und bearbeitet.

Gerald: Das ist richtig. Oder z.B. unter Stalin, als zahlreiche Bilder nach den Wünschen des Diktators verändert wurden, Personen einfach verschwanden oder andere hinzugefügt wurden. Selbst heute ist es nicht immer einfach die Fälschungen zu erkennen.

Echtheit erkennt man manchmal nicht an EINEM Bild, sondern auch am Drumherum oder am gesamten Werk eines Photographen; an seiner Einstellung zur Photographie und seiner Einstellung zu seiner Arbeit.

Antonin Kratochvil

Antonin Kratochvil

Gibt es einen Photograph, bei dem fast jedes Bild zu Dir spricht?

Gerald: Ja, das Werk von Antonin Kratochvil berührt mich unendlich. Seine Bilder brachten mich nach einer sehr langen fotographischen Absenz wieder zurück zur Photographie; es ist die Dichte, die Intensität seiner Bilder und seine Eigenart, die mich jedes mal berühren und aufwühlen, wenn ich mir seine Photographien anschaue!

Ich hatte das große Glück ihn persönlich kennenzulernen und weiß durch unsere Begegnung – aber sicher nicht nur daher – dass seine Bilder echt sind! Sie sprechen zu uns, man muss nur zuhören!

 

Cafe do Brazil

Cafe do Brazil

Dennoch bleiben Bilder Momentaufnahmen, die den Betrachter im besten Fall faszinieren und inspirieren. Du legst Wert auf die Dokumentation von Geschichten, die das Leben schreibt: “Polo de Campo”, “Café do Brasil”, “Chernobyl” und “Big Game”, um nur einige Deiner photographischen Bilderreisen zu nennen. Woher nimmst Du Deine Ideen?

Gerald: Neugier, Interesse, Zufall. Ich bin neugierig und wenn ich auf etwas aufmerksam werde, und das geht recht schnell, dann kann ich nicht anders als dem nachzugehen. Ich nähere mich der Sache, den Menschen und der Geschichte an und erlebe es dann auf meine Art mit meiner Kamera.

Zugleich interessieren mich viele Dinge auch einfach; ich will mehr darüber wissen, ich recherchiere, frage Menschen, lese darüber und versuche es selbst zu erleben. Und die Photographie ist dann meine Art es so darzustellen wie ich es sehe und erlebe.

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Du sagst, der Zufall sei so oft ein großartiger Auslöser.

Gerald: Absolut! Auch ‘Polo del Campo’ beruht auf einem Zufall. Nur einen Tag vor unserem Abflug nach Buenos Aires machte mich eine Bekannte auf eine gemeinsame Freundin aufmerksam, die oft in Argentinien sei, um Polo zu spielen. Und wie es nur der Zufall zustande bringt, war diese zur gleichen Zeit wie wir im Land und lud uns auf die Hacienda ein, auf der dann die Bilder zur Geschichte ‚Polo del Campo’ entstanden sind.

Ich glaube, dass ich einfach sehr aufmerksam bin, Dinge um mich herum wahrnehme und zuhöre.

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Als Tänzerin des Argentinischen Tangos beeindruckt mich, wie Du in Deiner Doku “Tango Argentino” als „Nicht-Tänzer“ die fast intime Nähe eines flüchtigen Momentes sowie pure Emotionen visuell greifbar machst. Fühlst Du Dich als Voyeur oder eher als Teil dieser Begegnung zweier Tänzer, wenn Du auf den Auslöser drückst?

Gerald: Nein, nein, nein! Als Voyeur würde ich mich fühlen, wenn ich mit einem Teleobjektiv aus großer Distanz meine Fotos machen würde! Ich bemühe mich bei meinen Geschichten immer um größtmögliche Nähe, beim Tango war ich teilweise auf der Tanzfläche, bei den Polo-Aufnahmen saß ich am Boden und Patricio ist bei einigen Aufnahmen nur knapp einen halben Meter an mir vorbeigeritten. Ich konnte den Luftzug seines Poloschlägers spüren, den er an mir vorbei geschwungen hat; ‘Backstage’ mit meinem Sohn war ich Teil des Ensembles einer aktuellen Aufführung – das hat nur funktioniert, weil mich das Ensemble akzeptiert hat.

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Und bei den Künstler-Fotos bist Du mit ihnen im Atelier während sie arbeiten.

Gerald: Ja, ich rieche die Farbe und – jetzt etwas pathetisch – spüre ihren Atem!

Ich MUSS spüren, was die jeweilige Situation ausmacht, um sie für mich in der richtigen Weise zu ‚dokumentieren‘. Aufnehmen im doppelten Sinn – für mich und auf Film in meiner Kamera. Am besten erklärt durch ein Zitat von Robert Capa: „Wenn deine Bilder nicht gut genug sind, warst du nicht nah genug dran.“

Ferdinand Bubi

Ferdinand Bubi

Gerald, Du hast als Redakteur für das ORF, “Wissen aktuell”, “Teleskop” und “Kunststücke” gearbeitet. Woher kam der Name und die Idee für Deine Agentur Yeti, die Du in Schladming 1985 gegründet hast?

Gerald: Der Name stammt aus einer Zeit vor meiner Tätigkeit als Redakteur im ORF. Zu dieser Zeit musste man in Österreich noch eine Prüfung vor einer staatlichen Stelle ablegen um als Filmproduzent zu arbeiten. Ich bin noch immer der jüngste, der diese Prüfung gemacht und bestanden hat – heute ist das nicht mehr notwendig, aber haben tu ich sie!

Und dann ging es darum, wo und welche Filmproduktion oder Firma ich gründen möchte. Zu dieser Zeit hat mich der Winter und Wintersport sehr fasziniert und so habe ich mit einem Freund zusammen die Yeti-Filmproduktion und Stuntmen Agentur gegründet, als Österreichisches Pendant zu dem in Deutschland und weltweit bekannten Willy Bogner. Der Yeti – als Schneemensch bekannt und durch Reinhold Messner in aller Munde –erschien mir als der richtige Name dafür!

Offenbar hast Du Dich in dieser Zeit immer öfter und bald auch nur noch als Yeti den Leuten vorgestellt?

Gerald (lachend): Ja, es ging letztlich so weit, dass man mich unter meinem richtigen Namen gar nicht mehr kannte, sondern nur noch unter Yeti! Schließlich habe ich irgendwann dann das Y als Abkürzung meines Mittelnamens eingefügt und da ist er bis heute.

2006 machte mein Kollege Basil Gelpke gemeinsam mit Ray McCormack den Dokumentarfilm „The crude awakening“, der untersuchte, wie uns die Öl-Versessenheit unserer Zivilisation auf Kollisionskurs mit der Umwelt bringt. Auch Du hast Dich mit diesem Thema auseinander gesetzt. Du hast ebenfalls ein grosses Themenwissen in diesem Bereich: Woher kam Deine Idee für den Dokumentarfilm “Ölspur, … und am Anfang war das Öl“?

Gerald: Als ich in Schladming gelebt habe – zur Zeit der Yeti-Firma – war ich begeisterter Squash Dilettant. Eines Tages ist der Inder Atal aufgetaucht – ein begnadeter Squash-Spieler und begeisterter Skifahrer – mit dem ich mich angefreundet habe und der als First Officer auf Öltankern arbeitete.

Atal hat mir einen Einblick in seine Welt verschafft; elf Jahre nach unserer ersten Begegnung und intensiven Recherchen konnte ich dann für den ORF diese Geschichte umsetzen – wir waren sogar das erste Fernsehteam, das direkt von einem Tanker berichtete, ein halbes Jahr bevor dies der übermächtigen BBC gelungen ist! Auch hier wieder der Zufall, da damals mehrere Öltanker verunglückten und das Interesse an dem Thema auch in Österreich gross war.

Roland Reiter

Welche Kameras bevorzugst Du?

Gerald: Für meine professionelle Arbeit verwende ich eine digitale Spiegelreflex, für meine persönlichen Projekte verwende ich mehrere analoge Suchkameras mit Festobjektiven – meine Standardoptik ist 28mm – damit muß ich nahe ran!

Sucherkameras verwende ich, weil sie kleiner, ‚schöner‘, vor allem aber weniger bedrohlich sind als große schwere schwarze Spiegelreflex-Kameras. Die besten Ergebnisse bei meinen Porträts erreiche ich mit einer kleinen zarten Kamera, die nicht einmal einen eingebauten Sucher hat, sondern ein aufgestecktes ‚Auge’, eine sehr freundliche, lustige Kamera, die mir Menschen, auch solche die sich eigentlich gar nicht photographieren lassen wollen, näher bringt, sie auf mich zugehen lässt, weil sie neugierig sind, womit ich denn da hantiere!

Ich hab eine weile auch mit einer digitalen Sucherkamera gearbeitet, aber die Ergebnisse waren einfach nicht befriedigend, ich musste zu viele digitale Filter und Bearbeitungsschritte einsetzen, um zum selben Ergebnis zu kommen, das ich mit Film und fotografischem Wissen erreiche, also lieber gleich Film!

Fordert Dich Film heraus?

Gerald: Absolut, denn ich muß wissen, was ich tue, wie das Zusammenspiel der drei Komponenten der Fotografie funktioniert – Verschlusszeit, Blende, Empfindlichkeit des Films – das ist Handwerk!

Eine digital gesteuerte Fräsmaschine kann jede Figur aus Stein herausschneiden – perfekt – aber sie wird nie die Qualität eines Alberto Giacometti erreichen, der die Seele des Steines gespürt und damit gearbeitet hat, vielleicht mit Fehlern, aber mit großer Kunstfertigkeit und Leidenschaft und mit all seinem Wissen über das leben und dessen Verstrickungen.

Welchen Stellenwert hat ein Iphone für einen professionellen Photographen wie Dich und warum?

Gerald: Ich verwende die Kamera des iPhones als digitale Notiz- und Merkhilfe. Eine Weile habe ich versucht damit zu photographieren, aber das hat für mich nicht funktioniert, denn man entkommt einfach nicht den unzähligen “Bildoptimierungs-Helferlein”. Zum Schluss ist es nicht Dein Bild, sondern das Bild einer App, das als Ergebnis übrig bleibt.

Gerald Plattner, ich danke Dir für diese Interview und wünsche Dir noch viele spannende visuelle Projekte und Begegnungen.

Weiter Informationen:

www.worx.tvhttp://www.yetis.photography
www.artv.at – Das Porträt des Menschen hinter der Kunst

Copyright aller Photographien von Gerald Plattner. Veröffentlichungen nur mit expliziter Genehmigung des Photographen.